Rede zum Volkstrauertag am Denkmal Kreetz

Veröffentlicht am 15.11.2010 in Ortsverein

von Friedmar Sonntag

Genossinnen und Genossen,

Der Volkstrauertag soll Anlass sein, dass wir uns unserer eigenen Geschichte stellen, die nicht irgendwo im fernen Berlin, sondern unmittelbar hier in unserer Heimatgemeinde stattgefunden hat.

Am 17. April 1945 um 10.00 Uhr wurde der 26-jährige Soldat Erwin Kreetz von einem Exekutionskommando der deutschen Wehrmacht im Steinbruch zwischen Steinheim und Kleinbottwar erschossen und dort an Ort und Stelle wie ein Hund verscharrt. Ein ehr- und würdeloser Verräter, für den selbst in seiner Todesstunde der Ortspfarrer als geistlicher Beistand für überflüssig angesehen und deshalb verweigert wurde.

Was hatte Erwin Kreetz verbrochen? Er wollte schlicht und einfach nicht mehr weiterkämpfen, seinen Kopf nicht mehr hinhalten. Für wen oder was eigentlich? Selbst bei den treuesten Volksgenossen ließ im April 1945 der gesunde Menschenverstand die Ahnung aufkommen, dass die großdeutschen Träume des Führers ausgeträumt waren. Doch mit Logik und Verstand war die Terror- und Todesmaschinerie der Nazis nicht mehr zu stoppen. Noch im Angesicht des Untergangs und der militärischen Niederlage wurde jeder mit dem Tode bedroht, der sich weigerte, diesen Wahnsinn weiter mitzumachen.

Erwin Kreetz Ausspruch: „Für mich ist der Krieg aus“ war demnach eine todeswürdige Pflichtverletzung. Jeder hatte die Pflicht, auf Befehl zu sterben, möglichst noch freudig „für Führer, Volk und Vaterland“. Wo kommen wir hin, wenn jeder selbst entscheiden will, wofür er bereit ist, sein Leben einzusetzen? Das Recht auf die eigene Entscheidung hat Erwin Kreetz mit dem Leben bezahlt.

Für das Kriegsgericht, das in Kleinbottwar am 16. April 1945 urteilte, war klar: Zur Aufrechterhaltung der Wehrkraft und der Manneszucht wird der Deserteur Erwin Kreetz zum Tode verurteilt und als Abschreckung für die anderen sofort hingerichtet!

Noch einmal streut Erwin Kreetz ein kleines Sandkorn ins gnadenlose Getriebe des militärischen Prozessablaufs. Sein letzter Wunsch vor der Hinrichtung waren keine großen Abschiedsworte, sondern nur die Bitte um eine Zigarette. Auch das widersprach den Exekutionsvorschriften, die eine rasche Erschießung vorsahen, um die Gefahr von aufkommenden menschlichen Regungen, wie Mitleid, zu unterbinden. Folgerichtig wurde dem Soldaten Kreetz diese letzte Bitte verweigert. Gnädigerweise wurden ihm die Augen verbunden, ehe ihn eine Gewehrsalve des Erschießungs-kommandos traf.

Genossen! Was damals Recht war kann heute nicht Unrecht sein! Ihr kennt alle diesen Ausspruch eines ehrenwerten Ministerpräsidenten, der früher als Marinescharfrichter selbst Todesurteile verhängte. Ich bin mir sicher, dass Erwin Kreetz bei ihm dieses Schicksal ebenfalls getroffen hätte. Den Geist dieser Haltung habe ich noch unlängst im Gespräch mit einer Einwohnerin unseres Ortes gespürt. Etwas geringschätzig erklärte sie mir, dass „der Kreetz ja gar kein Widerstandskämpfer war, sondern doch nur zu seinen vier Kindern nach Hause wollte, nachdem seine Frau bei einem Bombenangriff auf Berlin getötet wurde!“
Das ist natürlich überhaupt kein Grund, seinen Schützengraben zu verlassen und die Befehle der Herren Generäle zu missachten!

Genossen! Dieser Geist ist heute noch vielerorts lebendig. Bis vor kurzem galten Deserteure als vorbestraft – verweigerte man ihnen und ihren Angehörigen die Rehabilitierung und Entschädigung. Ich habe mir sagen lassen, dass es neben den vielen tausend Kriegs- und Heldendenkmälern lediglich zwei Orte in Deutschland gibt, wo den ermordeten Deserteuren durch ein Denkmal gedacht wird. Dass Steinheim einer davon ist, ist sicherlich kein Grund zur Scham. Wir denken mit Achtung und Respekt an unseren verstorbenen Genossen, Bürgermeister Alfred Ulrich, der seinerzeit gegen erhebliche Widerstände aus dem bürgerlichen Lager durch eine Erinnerungstafel an der Hinrichtungsstätte den Soldaten Erwin Kreetz in angemessener Form gewürdigt hat und seither Vorübergehende vielleicht zum Innehalten und zum Nachdenken veranlasst werden.

Erwin Kreetz wäre heute 91 Jahre alt und würde vielleicht noch im Kreise seiner Familie unter uns sein. Man hat ihm ein ganzes Leben gestohlen – ihm ist bitteres Unrecht widerfahren. Erwin Kreetz – das vergessen wir nicht!

Friedmar Sonntag