Industrielle Tierhaltung: „Da beneide ich die Vegetarier”

Veröffentlicht am 05.11.2011 in Presseecho

Steinheim Über die laxe Umsetzung des Tierschutzgesetzes haben sich die Gäste einer Veranstaltung empört. Von Astrid Killinger

Marbacher Zeitung vom 04. November 2011

Wenn ich diese Bilder sehe, dann ist mir klar, dass das Wohlbefinden der Tiere mit dem der Menschen zusammenhängt, sagte Annette Grimm und schüttelte sich dabei. Die Steinheimer SPD-Ortsvorsitzende hatte im Namen der Ortsvereine Steinheim, Murr, Großbottwar und Oberstenfeld zu einem Abend mit dem Motto „Das Wohlbefinden der Tiere und das Wohlbefinden der Menschen” begrüßt. 20 Gästen zeigte der Experte Dr. Hans-Joachim Klöss Fotos von eitrigen Putenbrüsten und wunden Krallen, gekappten Schweineschwänzen und abgehackten Vogelschnäbeln. „Ich beneide Vegetarier”, kommentierte eine Zuhörerin das, was Klöss über die industrielle Tierhaltung zu berichten hatte.

Weltweit gebe es heute nur noch drei große Putenzüchter. Jährlich würden 45 Millionen männliche Küken getötet. Die Überlebenden sind so auf Brustfilet gezüchtet, dass sie permanent vornüber fallen. Es entstehen bei 30 Prozent der Masthähnchen entzündliche Druckstellen, Brustknöpfe genannt.

Nicht viel besser sieht es im Schweinestall aus. Tierarzt Klöss, Fachbereichsleiter im Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz im Landkreis Schwäbisch Hall, erklärte, warum die isolierte Unterbringung der Muttersau im Kastenstand unter dem Strich keinen Vorteil bringt. Zwar werde somit verhindert, dass Ferkel von der schweren Mama erdrückt werden. Doch dafür entstehen diverse Krankheiten und Verhaltensstörungen.

Auch ein Blick auf die Rinderhaltung löste beim Publikum Schaudern aus. „Je mehr Milch die Kühe geben, desto kränker werden sie”, weiß Klöss. Sie könnten gar nicht soviel fressen, wie sie eigentlich müssten und würden das für die Milchproduktion benötigte Protein dem eigenen Körper entnehmen. Außerdem sinke mit der Hochleistung ihre Lebenserwartung, womit sich dieser so genannte Fortschritt selbst von der betriebswirtschaftlichen Seite her betrachtet nicht wirklich rechne.

Die Reaktionen des Publikums von Ekel und Empörung spiegelten eine von Annette Grimm und SPD-Landtagsabgeordnetem Thomas Reusch-Frey festgestellten allgemeinen Sensibilisierung unserer Gesellschaft für die Würde des Tieres. Dieses Empfinden, bestärkt von der Wissenschaft, die laut Klöss selbst den wirbellosen Tieren menschenähnliches Schmerzempfinden attestiert, hat sich inzwischen im Grundgesetz niedergeschlagen. Das 2002 erlassene Tierschutzgesetz fordert, dass der Mensch „aus der Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden” zu schützen habe. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen” zitierte Klöss Paragraf sechs.

Dass das Gesetz ungestraft missachtet werden kann und praktisch „zahnlos” ist, das empörte die Zuhörer so sehr wie die Vergehen als solche. Klöss führte mit Beispielen die Macht der Fleischindustrie als Hemmschuh an. Ein Gast beklagte, dass im Profit orientierten Marktsystem der Preis den Ausschlag gebe und der billigste Produzent den größten Erfolg habe. „Vielleicht würden Mindestpreise helfen”, überlegte er. Für hilfreich hält Klöss jedenfalls die biologische Landwirtschaft und regionale Direktvermarktung, bei der kritische Verbraucher artgerecht arbeitende Landwirte unterstützen. Reusch-Frey zählte aktuelle Maßnahmen der grün-roten Landesregierung zur Stärkung des Tierschutzes auf. „Gute Ansätze” sieht er auch europaweit „Weniger Fleischkonsum, dafür mehr Qualität”, fassten sich die Besucher selbst an die Nase und auch Annette Grimm meinte, dass das Verhalten der Verbraucher wesentlich sei, um der Politik Dampf zu machen.